Arbeitsplatzgarantie
|
|
17.08.2015 18:00 Arbeitsplatzgarantie
Beitrag: #1
Weil der Thread zum Grundeinkommen in "Soziales" steckt, starte ich diesen Thread auch hier. Beides haben ja mit Sozialpolitik zu tun.
Was hier folgt, hat seinen Grund in einer früheren Recherche, über die ich hier schrieb. Jawoll: "Beseitigung von Arbeitslosigkeit". Da muss man jetzt nicht sofort drauf klicken. Sinnvoll erscheint es mir, erst mal weiterzulesen. Ich hatte bereits früher zum Ausdruck gebracht, dass ich beim Thema Grundeinkommen gespalten bin. Weil insbesondere eine deutliche Reduzierung der ökonomischen Ungleichheit die Arbeitslosigkeit bereits deutlich reduzieren würde. Aktuell bin ich bei einem Experten fündig geworden, der posthum - seit Ausbruch der Krise - für seine Arbeiten geehrt wurde. Es handelt sich um Hyman Minsky. Er modellierte eine inhärente Instabilität des kapitalistischen Systems, und das würde vor Kriseneintritt kaum ernst genommen. Was ich nun weiß ist: Er trat in den Sechzigern auch für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ein. Hintergrund war eine Arbeitslosigkeit von rund 18% in ländlichen Gebieten in den USA. Bisher bin ich durch englischsprachige Dokumente gestöbert, und dann kam auf einmal eine deutschsprachige Zusammenfassung von Sascha Liebermann (der scheint ein ziemlich bekannter Blogger zu sein). Liebarmann zitiert aus einem ausführlichen Artikel auf den Nachdenkseiten (den er faktisch zusammenfasst). ELR steht übrigens für "Employer of Last Resort" - der Staat (in Anlehnung zu "Lender of Last Resort - die Zentralbank). Zitat:…Minsky sprach sich deshalb bereits in den 1960er Jahren für ein ELR-Programm aus, bei dem der Staat allen Arbeitsuchenden, die bereit seien, zum Mindestlohn zu arbeiten, Jobs entsprechend ihren Fertigkeiten und Kenntnissen zur Verfügung stellen sollte (Minsky 1965, 1968, 1973, 1975, 1986). Nur der Staat sei in der Lage, ein „unendlich elastisches“ Angebot an Arbeitsplätzen zum Mindestlohn zu schaffen. Der Staat als „Arbeitgeber letzter Instanz“ zieht damit nicht nur eine Untergrenze für die Löhne, sondern auch für den privaten Konsum (und die aggregierte Nachfrage), und erhöht so die Wirksamkeit antizyklischer Fiskalpolitik (die Staatsausgaben steigen in der Rezession und fallen in der Aufschwungphase, in der die Arbeitnehmer in wachsendem Umfang vom Privatsektor „abgeworben“ werden). Das ELR-Programm würde die Mindestlohngesetzgebung überflüssig machen: „Arbeit sollte für alle verfügbar gemacht werden, die zum nationalen Mindestlohn arbeiten möchten. […] Dies würde das Mindestlohngesetz ersetzen, denn wenn Arbeit für alle zum Mindestlohn vorhanden ist, steht den privaten Arbeitgebern keine Arbeit mehr zu einem Lohn unterhalb dieses Minimums zur Verfügung“ (Minsky 1965, S. 196; Übersetzung G.G.)… Liebermann spricht dann auch an, ob dies "leistbar" ist. Nun, diese Fragestellung wird im eingangs erwähnten Link von mir behandelt. Wer es genauer wissen will, lese eine gute Zusammenfassung der Ideen Minskys hier: http://www.levyinstitute.org/pubs/wp_515.pdf (15 Seiten Text, insbes. ab Kap. IV). Hier wird Minsky übrigens mit Worten zitiert, wonach der Steuerzahler schon klar sehen muss, dass ein solches Programm gut sichtbare öffentliche Wirkungen entfaltet, als da sind: Parks, Sicherheit, saubere Straßen, bessere Bildung und Kinderbetreuung und auch Seniorenhilfe bzw. -Pflege. Interessantes Detail: auf S. 13 wird bemerkt, dass Minsky sagte, dass solche Job-Programme nur möglich sind in einem Land, welches freie Wechselkurse zu anderen Staaten hat (Erklärung: Eingangslink). "Die Bindung des Geldes an das Gold war ein Kreuz für die armen". Insofern gibt es heute eine Parallele: Die heutige Problemstaaten im Süden Europas sind ebenfalls gebunden. |
n. oben |
|
18.08.2015 07:49 RE: Arbeitsplatzgarantie
Beitrag: #2
Interessante Idee. Ein Problem könnte aber sein, Menschen "die bereit seien, zum Mindestlohn zu arbeiten, Jobs entsprechend ihren Fertigkeiten und Kenntnissen zur Verfügung" zu stellen. In den später erwähnten Bereichen (Bildung, Seniorenhilfe und insbesondere Straßenreinigung) gibt es sicherlich Bedarf. Aber haben auch alle die Fertigkeiten und Kenntnisse (Bildung, Seniorenpflege) hierfür bzw. wollen sie da arbeiten (Straßenreinigung)? Was ist mit denen, die nicht zum Mindestlohn arbeiten wollen?
|
n. oben |
|
23.08.2015 22:05 RE: Arbeitsplatzgarantie
Beitrag: #3
Jürgen, deine Frage zu denjenigen, die nicht zum Mindestlohn arbeiten wollen, hat mich veranlasst, die verlinkte Ressource genauer zu studieren.
Wichtig ist, die verschiendenen Sektoren im Arbeitsmarkt zu unterscheiden, z.B. der Markt im Industrie-Sektor, und der Markt im Sozialbereich. Minskys Ziel bei Arbeitslosigkeit war es, sog. "lagging sectors", also Sektoren, die hinterherhinken, gezielt zu Lohnsteigerungen zu verhelfen, natürlich auf Kosten der vergleichsweise prosperierenden Sektoren. Er stellte fest, dass (Wachstums)programme, die Investitionen fördern wohl insbesondere die starken Sektoren zugutekommen, und tendieren so zu einer Vergrößerung der Lohnspreizung. Deshalb plädierte er für Job-Programme ("bubble up" anstelle von "trickle down"), und in erster Instanz sollen Leute gemäß ihrer Stärken und Fähigkeiten vor Ort eingesetzt werden. Also Umschulung ist eher zweitrangig. Für urbane Migration gilt dasselbe; das kommt der heute allerorten sichtbare Verödung vieler ländlicher Gebiete entgegen! Das ist sein ELR-Konzept (im verlinkten Dokument S.13-15). Um auf deine Fragen zu kommen: bei Einführung eines ELR-Programmes wird von Anfang an damit gerechnet, dass die Löhne der schwachen Sektoren im Laufe der Zeit steigen werden. Das ist eine Folge der verbesserten allgemeinen (aggregierten) Nachfrage aufgrund erhöhter Kaufkraft (1) und der lohntreibenden Effekte bei annähernde Vollbeschäftigung (2). Wichtig ist, dass die NETTO Löhne der erfolgreichen Sektoren weniger stark wachsen, weil es sonst zu Inflation kommen würde. Der klassische Effekt bei Vollbeschäftigung ohne begleitende Maßnahme (und damit meine ich nicht Zinserhöhungen). Die Bereitschaft, Arbeit zu einem "Programm-Mindestlohn" anzunehmen, wird zunehmen bei zunehmender Mindestlohn. Untersuchungen zeigen übrigens, dass die Lohn-Ungleichheit bei nahe-Vollbeschäftigung geringer ist. Zu deiner zweiten Frage zur Eignung vieler Arbeitsloser für z.B. den Sozialbereich: Mit der Höhe des Lohnes kann man Berufe attraktiver machen, jedoch gibt es da Grenzen, klar. Minsky sagt nicht von ungefähr, dass ELR-Programme Leute vorwiegend "dort abholen sollen, wo sie stehen", drücke ich es mal aus. Das erfordert Kreativität. Aber eines sage ich schon mal: auch wenn viele Leute nicht geeignet sind für Pflegeberufe: Es gibt wahnsinnig viel zu tun alleine bei Instandsetzung des öffentlichen Raumes (vieles, das hässlich ist soll erneuert werden, frisch gestrichen und und und). Was bleibt, sind natürlich weiterhin Leute die nicht arbeiten können, wollen oder sollen (auch Minsky). Das kann man z.B. im Sinne eines BGE organisieren. Meiner Meinung nach wird die Akzeptanz eines BGE gesteigert, wenn es ein ELR-Programm gibt, weil es die Quote der reinen BGE-Glückssucher verringern würde. In diesem Sinne merke ich an, dass man die Menschheit in zwei Kategorien einteilen kann: die, die sehr gut in der Lage sind, in eigenregie Arbeit zu organisieren, und die die Arbeit eher angeboten werden muss (nur so als Beispiel einer Aufteilungskategorie). |
n. oben |
|
23.08.2015 22:57 RE: Arbeitsplatzgarantie
Beitrag: #4
Nachtrag: Es gibt eine nette Powerpoint-Datei (als PDF), die die Konzeption Minskys etwas lockerer präsentiert: http://www.economonitor.com/lrwray/files/2013/05/minsky-ending-poverty-apr-2013-pdf.pdf
Dort bin ich auf einen erstaunlichen Tatbestand gestoßen. Auf Folie 10 wird eine kleine Armutsstatistik (der USA) dargestellt. Vorweg merke ich an, dass die Zahlen einer Zeit entnommen sind, in dem der Mann noch als Ernährer der Familie galt. 1940 hatten 60% aller weißen Männer unzureichende Einkünfte, um eine vierköpfige Familie zu ernähren. Bei den schwarzen waren es 90%. Die zahlen für "weiß" und "schwarz" entwickelten sich folgendermaßen: 1960: 25 bzw. 50% 1970: 10 bzw. 30% 1990: 20 bzw. 40% (!!) Es wird dort angemerkt, dass die Zahlen für 1990 vergleichbar waren mit den Zahlen für 1965, als der amerikanische "War on Poverty" (WOP) begann. |
n. oben |