ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
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02.12.2013 20:27 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #11
(29.11.2013 21:27)Jürgen Koll schrieb: So könnte ein arbeitsloser Lehrer (keine gesuchte Fächerkombination) z.B. in der Nachhilfe, in der Hausaufgabenbetreuung oder als zweite Lehrkraft in einer Klasse eingesetzt werden. Er würde den gleichen Stundenlohn erhalten, den auch seine Kollegen erhalten. Er würde nur weniger arbeiten.Aber Jürgen, ich kann diese Geschichte auch umgekehrt erzählen. Aus irgendeinem Grund werden Lehrer entlassen, weil Budget knapp ist, usw. Also wird dieser Lehrer entlassen. Das volle Arbeitsentgelt wird eingespart. Denkt man. An anderer Stelle fallen etwa 70% Kosten für Sozialleistungen an. Es ist ein großes Manko in unserer durch und durch fragmentierten Gesellschaft, dass Zusammenhänge nicht wahrgenommen werden. Es ist wie mit (aus einem anderen Bereich, ich weiß, aber es trifft zu) einzelwirtschaftlichem Denken und gesamtwirtschaftlichem Denken. Und an dieser Fragmentierung krankt die Gesellschaft. Wenn durch kluge Regelungen ein "Entlasser" wisse, dass 100% entlassen eines Mitarbeiters nur 30 von 100% Kosten einsparen würde, würden Verantwortliche drei mal nachdenken bevor sie sich dazu durchringen, bei 30% Einsparung 100% Arbeitskraft zu verlieren. Oder so: ein Unternehmer in einer kaum fragmentierten Gesellschaft würde nicht unnötig Kosten in Form von weniger Gehaltszahlungen einsparen wollen, weil seine Mitarbeiter ja Kaufkraft für seine Produkte bereiststellen (so dachte auch Henry Ford, aber damals war die Gesellschaft noch nicht so fragmentiert...). Man darf nicht vergessen: Fragmentierung hat auch etwas mit Mobilität von Menschen und Waren zu tun. Heute denkt jeder Unternehmer: Kosten senken, kosten senken. Meine Mitarbeiter sind als Umsatzträger zu vernachlässigen. Aber wenn alle Unternehmen so denken, ist der Effekt der gleiche, wie bei einer kompakten Gesellschaft: Die Wirtschaftsleistung würde darunter leiden. |
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18.12.2013 17:46 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #12
(01.12.2013 22:59)Christian Stadelmann schrieb: Auf der Rückseite des oben zitierten Buches steht: „Maschinen nehmen uns die Arbeit ab. Oder weg.“ Das fasst die Diskussion hier gut zusammen. Aus meiner Perspektive ist es kein Problem, wenn immer weniger Arbeit für Menschen da ist – zumal wir die „Evolution“ der Technik nur aufhalten können, wenn wir uns von bestehender Forschung, Wissenschaft und Wirtschaftssystemen entkoppeln. Ich finde, die Gesellschaft sollte das als Chance nutzen, die freie Arbeitszeit der Menschen anders sinnvoll zu verwenden. Und damit meine ich nicht das unaufhörliche Konsumieren von Gütern, Filmen oder Computerspielen. Wenn die Gesellschaft so weit ist, müssen wir aber auch einsehen, dass unsere Wertschöpfung hauptsächlich durch Maschinen geleistet wird, der wirtschaftliche Nutzen menschliche Arbeit also umso weniger messbar wird. Für mich ist genau das auch ein Grund, warum ich das bedingungslose Grundeinkommen nicht ablehne. An diesem Punkt waren wir schon bei der Diskussion über das BGE im alten (mittleren) Forum. Die Automatisierung ist definitiv ein Problem, aber meiner Meinung nach kein Schicksal, dem man nicht entrinnen könnte. Der Mensch kann diesen Prozess steuern und zu einem gewissen Grad auch gegensteuern, ohne ins Mittelalter zurückzufallen. Man könnte, wenn dies politisch gewollt wäre, den Faktor „menschliche Arbeit“ verbilligen und den Faktor „Maschinenarbeit“ verteuern. Auch könnte man per Gesetz die Reparierbarkeit von Produkten festschreiben und/oder über eine verlängerte Garantiezeit die Reparatur von Produkten (und nicht den Neukauf) fördern. Hier wie in anderen Bereichen bleibt menschliche Arbeit wichtig. Zudem ist die ÖDP auch dafür bislang nicht anerkannte Arbeit (Erziehung/Pflege) zu honorieren. Dennoch sehe ich das allgemeine Problem, genug Jobs für alle zu schaffen. Letztlich wird es wohl auch auf weniger arbeiten hinauslaufen müssen (ohne Lohnausgleich). Weniger Arbeit, mehr freie Zeit! Ich glaube auch nicht, dass unsere Gesellschaft oder gar die gesamte Menschheit soweit ist, „die freie Arbeitszeit der Menschen anders sinnvoll zu verwenden.“ Ich habe bei der damaligen Diskussion, zugegeben etwas spöttisch, geschrieben, dass nach der Vollautomatisierung aller Arbeit und Einführung des BGE nur noch das Auffinden des Unsterblichkeitsgens fehle, um das Paradies auf Erden nun endlich zu errichten. Mir fehlt einfach die Vorstellungskraft, eine Welt mit 7 bzw. bald viel mehr Milliarden Menschen zu denken, die sich nur noch der Dichtung, der Musik und ähnlichen Verlockungen hingeben, während der Putzrobo das Bad fertig macht und der Thermomix 2050, nachdem die Zutaten von der Amazon-Drone angeliefert wurden, das (natürlich vegetarische) Essen zubereitet. Ach ja, Frieden auf Erden wird dann auch eingekehrt sein, weil Dank des BGE niemand mehr von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sein wird und damit plötzlich auch politische, religiöse und kulturelle Konflikte aufgelöst sind. Für mich stellt sich auch die Frage, ob eine solche Wirtschaftsweise mit dem dazugehörigen Energie- und Ressourcenverbrauch für den ganzen Planeten nachhaltig in die Realität umzusetzen wäre. Die Postwachstumsökonomie von Paech (obwohl auch schon reichlich utopistisch) halte ich angesichts der natürlichen Rahmenbedingungen für eine realistischere Option. Auch arbeiten die Menschen da noch. Ich halte Arbeit (da beziehe ich auch heute nicht entlohnte Arbeit wie die Erziehung mit ein) für den Menschen für sehr wichtig. |
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02.01.2014 18:49 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #13
Ich habe heute bei einer Krankenkasse einen interessanten Bericht gelesen über das "Zentrum für gute Taten" in Wuppertal, das Einrichtungen, die Unterstützung brauchen, mit Menschen zusammen bringt, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Der Vermittlungsbedarf sei in letzter Zeit immer größer geworden. Dies liege z.T. daran, dass öffentliche Gelder für Leistungen zurückgingen andererseits aber auch immer mehr Menschen sich engagieren wollten.
Auch fiel mir wieder ein Artikel von Paech ein, in dem ich Folgendes gelesen hatte: "Weiterhin fördert die Stadtverwaltung eine Reduktion und Umverteilung der Arbeitszeit. Sie geht nicht nur innerhalb städtischer Betriebe mit gutem Beispiel voran, sondern nutzt diverse Anreizinstrumente mit dem Ziel, dass jeder Bürger maximal nur 20 Stunden an monetär entgoltener Arbeitszeit leistet. Auf diese Weise konnte die ARGE abgeschafft werden. Stattdessen existiert in jedem Stadtteil ein so genanntes Kreativzentrum. Hier kann Menschen, die trotz alledem noch ohne 20-Stunden-Job sind, auf freiwilliger Basis eine Tätigkeit vermittelt werden, für die ein angemessenes Bürgergeld gezahlt wird." (Hervorhebung von mir) Es scheint so, dass auch er das Prinzip Geld gegen Leistung einem BGE vorzieht. Auch muss er wohl der Meinung sein, dass zumindest bei allgemeiner oder weitgehender Reduzierung der Arbeitszeit genug Arbeit für die Menschen vorhanden ist. Auf jeden Fall finde ich das Recht auf Arbeit bzw. die Pflicht zur Arbeit eine diskussionswürdige Idee für die ÖDP, da wir ja auch der Idee der Postwachstumsökonomie von Paech aufgeschlossen gegenüber stehen. |
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03.01.2014 10:45 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #14
Das in Politikersonntagsreden hochbejubelte Ehrenamt ist im Grunde ideologisch mit Hochglanz verkauftes Ausnutzen von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer dafür hergeben bzw. dafür engagieren. Vater Staat und seine Tochtergesellschaften können damit viel Geld sparen, dto die Kirche und auch viele gemeinnützige Organisationen.
Das Grundproblem bleibt erhalten, solange menschliche Aktivitäten in Erwerbtätigkeit einerseits und unbezahlte ehrenamtlicher Tätigkeit andererseits unterteilt werden. Und daran wird sich m.E. noch lange nichts ändern, weil zu viele daran kein Interesse haben. Ich glaube nicht, dass das Gerede von Konsumverzicht größere Menschenmengen und vor allem Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik in Deutschland dazu bringen wird, eine 20-Stundenwoche mit Lohnverzicht zu unterstützen. Das in Deutschland allein wäre volkswirtschaftlich ein extremes und risikobehaftetes Experiment, europaweit oder gar weltweit überhaupt nicht durchsetzbar. Einige Gutverdienende würden vielleicht mitmachen, die mit dem Verdienst von einem oder zwei 20-Stunden-Erwerbstätigen sich und auch ihre Familie (wenn vorhanden) ernähren könnten und den gewünschten Lebensstil zumindest in Grundzügen trotzdem hätten. Vielleicht auch einige, die wegen Überarbeitung gesundheitlich vor die Wand geknallt sind. Die könnten zwar auch jetzt schon Teilzeitstellen annehmen, aber Teilzeitstellen sind schwierig zu bekommen und oft schlecht bezahlt, oft nur als Minijob. Und als Hoffnung für Leute, die trotz zahreicher offener Stellen keinen Arbeitsplatz bekommen und auf Umverteilung von Arbeit hoffen. Die Masse hat aber keinen Grund, Lohnverzicht anzustreben und minimalistisch zu leben. Und damit sind wir bei der Frage, was politisch realistisch erreichbar ist und nicht zu einem unglaubwürdigen Scheinalleinstellungsmerkmal einer Partei verkommt. M.E. Verbot von Überstunden, Rechtsansprüche auf durch Arbeitnehmer frei verhandelbare Stundenumfänge eines Arbeitsplatzes ..... und anderes, was wir hier gedanklich entwickeln sollten Konsumverzicht und Minimalismus ist eine, inhaltlich durchaus ableitbar, aber leider nicht an größere Menschenzahlen vermittelbare Wertvorstellung. Waren die Ansätze von Eremiten noch nie. Letztendlich werden wir nur schützen, was wir lieben. Wir lieben nur, was wir verstehen. Wir werden nur das verstehen, was man uns lehrt. (Original in Englisch von Baba Dioum ( Senegal) vor der Generalversammung der International Union for Conservation of Nature, New Delhi, 1968 ) |
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08.01.2014 23:31 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #15
(03.01.2014 10:45)Michael M(ittelstädt) schrieb: Das in Politikersonntagsreden hochbejubelte Ehrenamt ist im Grunde ideologisch mit Hochglanz verkauftes Ausnutzen von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer dafür hergeben bzw. dafür engagieren. Vater Staat und seine Tochtergesellschaften können damit viel Geld sparen, dto die Kirche und auch viele gemeinnützige Organisationen.ÂZustimmung: ich beobachte hin und wieder, dass bestimmte Tätigkeitsfelder, die früher von Angestellten beackert wurden, nunmehr von (u.U. jeweils mehreren) Ehrenamtlichen beackert werden. Man muss dazu gar nicht mit früheren Zuständen vergleichen, sondern sich nur vorstellen, dass diese und jene Arbeit eigentlich auch gut als bezahlte Arbeitsstelle umgesetzt werden könnte. Ein damit vergleichbares Problem ist das aufstückeln von Einzelarbeitsplätzen in mehreren 400 EURO-Jobs. In beiden Fällen geht Kaufkraft verloren, und somit sinkt der Absatz von Produkten und Dienstleistungen. Es müssen also mehr Kosten gespart werden (sich verstärkender Kreislauf). Es ist die Krankheit des einseitigen Fokusses auf Kosteneinsparungen, die unsere Wirtschaft kaputt macht. Und niemand hat den Mut, im Personalbereich mehr auszugeben, weil damit ein Kostennachteil gegenüber dem Wettbewerb entsteht. Gerade in der Pflegewirtschaft wirkt sich dies bereits fatal aus. Siehe z.B. auch die Diskussion um Löhnen bei kirchlichen Diakoniebetrieben. Den Artikel von Paech kannte ich nicht (habe ihn nun erst mal überflogen). Danke für den Link! Wenn Paech von einer 20 Stundenwoche schreibt, so ist dies sicher überzogen. Das liegt aber daran, dass er eine Kombination aus Erwerbstätigkeit und Subsistenzwirtschaft befürwortet. Zunächst muss man m.E. erst mal die jetzige Arbeitszeit nur verkürzen (mit nur geringen Abstrichen beim Einkommen), damit mehr Leute einen Arbeitsplatz haben können. Insofern unterstütze ich das Recht auf Arbeit, weil Arbeit ein wichtiges Selbstverwirklichungsinstrument eines jeden Menschen ist. Und wenn Paech freiwillige Tätigkeiten mit "Bürgergeld" entlohnen will, spricht nichts dagegen, weil damit immerhin Geld, und somit Kaufkraft verbunden ist. |
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09.01.2014 14:25 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #16
(03.01.2014 10:45)Michael M(ittelstädt) schrieb: Das in Politikersonntagsreden hochbejubelte Ehrenamt ist im Grunde ideologisch mit Hochglanz verkauftes Ausnutzen von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer dafür hergeben bzw. dafür engagieren. Vater Staat und seine Tochtergesellschaften können damit viel Geld sparen, dto die Kirche und auch viele gemeinnützige Organisationen.Das ist mir zu sehr verkürzt/vereinfacht. Gewisses gesellschaftliches Engagement (z.B. im Sportverein, Tanzclub, Partei, Nichtregierungsorganisation, Bürgerinitiative, …) wird nicht bezahlt, weil es keine realistische Möglichkeit gibt, das zu tun. In Parteien wäre es m.E. nach sogar schädlich, das Engagement zu bezahlen (Aufwandsentschädigungen gibt es trotzdem, die sind ok), weil sonst eine finanzielle Abhängigkeit entsteht, die den Ideen und Idealen üblicherweise im Weg steht. Richtig ist der Einwand aber wenn ich z.B. an die Tafeln, Rettungsdienste, Betreuung im Umfeld der Pflege, Seelsorge, … denke. Aber ich finde, da machst du es dir zu einfach, die Schuld auf „den Staat“ zu schieben. Ursache dafür ist doch die jahrzehntelange asoziale Austeritätspolitik der Neoliberalen wie z.B. die Hartz4-Gesetzgebung, Reduzierung von Spitzensteuersatz, Erbschaftssteuer und Reichensteuer, …. Aber warum gibt es diese Gesetze? Weil die Reichen in unserem Land zu viel Einfluss haben – so viel Einfluss, dass die Politik im großen Stil ihren Anforderungen nachkommt. Die Kirche sowie viele gemeinnützige Organisationen (z.B. Diakonie, Caritas, Malteser, …) sind auf Grund der Gesetzgebung (zu wenig Geld z.B. für Pflegeleistungen, zu hohe Anforderungen an Dokumentationen, …) dazu gezwungen, so zu handeln. Zur Idee von Paech: Ich möchte seine Idee noch mal in meinen Worten wiedergeben (soweit ich sie verstanden habe): Ausgangssituation: Wir haben heute sehr viel unnötigen Konsum (bzw. Wirtschaftsleistung), der uns (Arbeitszeit, Geld, Stress, Vermüllung) sowie unsere Umwelt stark belastet. Unser Wirtschaftssystem ist so weit global vernetzt, dass es sehr anfällig für Störungen ist. Wir wollen uns davon befreien, ohne in eine Planwirtschaft oder steinzeitliche Verhältnisse zurückzufallen. Ziel: Es wird nur noch die Arbeit geleistet, die tatsächlich nötig ist (keine Werbung, unnötige Bürokratie, Produktion unnötiger Güter, …). Diese Arbeit wird gleichmäßig („gerecht“) auf alle Menschen verteilt (Arbeitszeit 20h/Woche). Dabei bleibt genug Zeit für uns selbst, Subsistenzwirtschaft, für Freunde und gesellschaftliches Engagement. Was mir an dieser Idee von Paech noch fehlt – sei es weil er es weglässt oder weil ich es überlesen haben – ist eine Umsetzung, um dieses Ziel zu erreichen. |
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09.01.2014 22:33 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #17
(09.01.2014 14:25)Christian Stadelmann schrieb: Das ist mir zu sehr verkürzt/vereinfacht. Gewisses gesellschaftliches Engagement (z.B. im Sportverein, Tanzclub, Partei, Nichtregierungsorganisation, Bürgerinitiative, …) wird nicht bezahlt, weil es keine realistische Möglichkeit gibt, das zu tun. In Parteien wäre es m.E. nach sogar schädlich, das Engagement zu bezahlen (Aufwandsentschädigungen gibt es trotzdem, die sind ok), weil sonst eine finanzielle Abhängigkeit entsteht, die den Ideen und Idealen üblicherweise im Weg steht.Ich hatte es bewusst etwas hart formuliert. Ich mag die Sonntagsreden unserer sehr gut bezahlten Politiker zum Ehrenamt überhaupt nicht. Aber davon mal abgesehen. Die ÖDP fordert einen einheitlichen Mindestlohn von 11,50 Euro. Es macht m.E. keinen Sinn, einen Mindestlohn für jegliche Arbeit zu fordern, zugleich einen Quasi-Lohn für Erziehungsarbeit zu fordern und dann ehrenamtliche Tätigkeit ohne Bezahlung zu akzeptieren. Natürlich verursacht das auch Bürokratie, aber das verursacht die Aufwandsentschädigung auch. Sieh es einfach als eine Aufwandsentschädigung für den in der Zeit entgangenen möglichen Mindestlohn. Die Aussage zu den Parteien verstehe ich überhaupt nicht. Idealismus und Minimalbezahlung sind kein Gegensatz. Idealismus muss doch nicht heißen, dass man alles umsonst macht und sich einfach nur ausnutzen lässt. Wer ganz viel Idealismus hat, kann ja die Minimalbezahlung der Partei oder Organisation spenden. Ich rede hierbei von administrativen und sonstigen Tätigkeiten für den Parteibetrieb, nicht über eigene politische Aktivitäten als Parteimitglied. Zitat:Es wird nur noch die Arbeit geleistet, die tatsächlich nötig ist (keine Werbung, unnötige Bürokratie, Produktion unnötiger Güter, …). Diese Arbeit wird gleichmäßig („gerecht“) auf alle Menschen verteilt (Arbeitszeit 20h/Woche). Dabei bleibt genug Zeit für uns selbst, Subsistenzwirtschaft, für Freunde und gesellschaftliches Engagement. Die Unterscheidung in nötige und unnötige bzw. implizit gute und schlechte Arbeit erscheint mir willkürlich und ideologisch behaftet. Es sollte auch jedem überlassen bleiben, ob er/sie 20, 30 oder 40 Stunden arbeitet, ob man Subsistenz machen will oder sich gesellschaftlich engagieren will oder nicht. Der durchschnittliche Mensch will vernünftig leben und Freude haben und wie man von max. 20 Wochenstunden ggf. mit Mindestlohn vernünftig leben soll, ist mir völlig schleierhaft. Minimalismus ist nicht für jeden attraktiv und erzwingen sollte man das auch nicht. Sonst hätten wir, schrieb ich schon mehrfach, kubanische Verhältnisse. Sprich eine Diktatur. Das Paechsche Modell ist m.E. auf freiweilliger Basis nur etwas für eine kleine Minderheit oder es wird zur Zwangsjacke. Letztendlich werden wir nur schützen, was wir lieben. Wir lieben nur, was wir verstehen. Wir werden nur das verstehen, was man uns lehrt. (Original in Englisch von Baba Dioum ( Senegal) vor der Generalversammung der International Union for Conservation of Nature, New Delhi, 1968 ) |
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10.01.2014 16:28 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #18
(09.01.2014 22:33)Michael M(ittelstädt) schrieb: Es sollte auch jedem überlassen bleiben, ob er/sie 20, 30 oder 40 Stunden arbeitet, ob man Subsistenz machen will oder sich gesellschaftlich engagieren will oder nicht.Anhand einer Definition des Begriffes Freiheit, wonach dieser (für mich) endet, wenn die Freiheit anderer davon tangiert wird ist meine Meinung: Wenn es viel Arbeitslosigkeit gibt (und hier gibt es davon mehr, als die Statistiken uns sagen), muss die nominelle Arbeitszeit herunter. In diese Kerbe schlug auch ein Rolf Hochhuth, als die Kontroverse um sein Drama "Mc Kinsey kommt" lief. "Bald schon wird es nicht mehr Arbeit genug geben, und wahrscheinlich wird hier eines Tages rationiert. [...] wird man es als unerhörtes Privileg ansehen, dass Menschen am Tag acht Stunden arbeiten dürfen bei so wenig Arbeit." (aus: Tachles, 2004). Zu Recht auf Arbeit: siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Recht_auf_Arbeit . Natürlich ist zwangmäßiges Reduzieren der Arbeitszeit nicht unbedingt das beste Mittel, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Über den Preis geht es auch ("incentives"). Z.B. eine Art progressive Besteuerung, die die Arbeitgeber belasten. Dadurch würden Arbeitgeber einen Anreiz erhalten, Stellen eher in "kleineren Portionen" aufzuteilen, ähnlich wie heute mehrere 400 €-Jobs oft eine Vollzeitstelle ersetzen. Aber Letzteres führe ich nur zum Vergleich auf. Denn eine Verbilligung nach unten ist falsch. Was die Selbstbegrenzung à la Paech angeht: ich glaube, dass er da einen Verbündeten hat (oder Inspirator?) in Ivan Illich. Ich denke da an sein Buch "Selbstbegrenzung" (1973), in die er schon als einer der ersten sog. Rebound-Effekte beschreibt. |
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10.01.2014 16:43 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #19
Mit der Erwähnung der Ehrenamts-Vermittlung wollte ich nur darauf hinweisen, dass es sehr viel Arbeit gibt, die derzeit nicht getan oder eben von Ehrenämtlern übernommen wird. Arbeit, die – wie rjmaris betont hat – früher teilweise auch entlohnte Arbeit war. Die von rjmaris erwähnte Entwicklung des Kostensparens (durch Arbeitsverdichtung oder eben Verzicht auf Erledigung bestimmter Arbeiten) bei gleichzeitigem Anstieg der Arbeitslosigkeit (die vom Staat finanziert werden muss) und der Zunahme von ehrenamtlicher Erledigung wichtiger Arbeit ist fatal. Da finde ich ein Recht auf Arbeit/Pflicht zur Arbeit prinzipiell gut, um dem entgegenzuwirken. Also keine Ehrenämter mehr, sondern bei Bedarf vom Staat vermittelte und entlohnte, möglichst sinnvolle Tätigkeiten. Würden zusätzlich heute nicht entlohnte Arbeiten wie Erziehungsarbeit oder Pflege von Angehörigen bezahlt, könnte man vielleicht in die Nähe von Vollbeschäftigung kommen. Ich glaube, dass dadurch einige Probleme, die wir in den Bevölkerungsgruppen haben, die schon über eine lange Zeit vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind, gelöst werden könnten.
Paechs Vorstellung der 20-Stunden-Wochebei gleichzeitiger Subsistenzwirtschaft finde ich theoretisch sehr gut, in der Praxis aber kurz- bis mittelfristig – wenn überhaupt – nicht umsetzbar. Schritte in diese Richtung, wie sie hier schon vorgeschlagen wurden (Verbot von Überstunden, moderate Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit), sollten aber gemacht werden. Auch dies würde helfen, möglichst vielen Menschen eine Arbeit zu geben. Auf jeden Fall bevorzuge ich das Prinzip Geld gegen Leistung (sofern diese denn erbracht werden kann) gegenüber einem BGE. |
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10.01.2014 19:51 RE: ÖDP-Thesen zu Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Beitrag: #20
(10.01.2014 16:28)rjmaris schrieb:(09.01.2014 22:33)Michael M(ittelstädt) schrieb: Es sollte auch jedem überlassen bleiben, ob er/sie 20, 30 oder 40 Stunden arbeitet, ob man Subsistenz machen will oder sich gesellschaftlich engagieren will oder nicht.Anhand einer Definition des Begriffes Freiheit, wonach dieser (für mich) endet, wenn die Freiheit anderer davon tangiert wird ist meine Meinung: Wenn es viel Arbeitslosigkeit gibt (und hier gibt es davon mehr, als die Statistiken uns sagen), muss die nominelle Arbeitszeit herunter. Vielleicht müssen wir über eine solche Rationierung langfristig nachdenken, aber nicht als ersten Schritt. Ich halte es für sinnvoll, zunächst erst mal alles zu machen, damit Schwarzarbeit verhindert wird, Überstunden durch Zeitarbeitskräft ersetzt werden und die Masse der unbezahlten Arbeit in bezahlte Arbeit verwandelt wird. Die individuelle Rationierung von Arbeit auf 20 Stunden halte ich für überzogen solange die jetzige Begrenzung von ca. 40 Stunden nicht durchgesetzt wird und das Anhäufen oder Erzwingen von nicht abbaubaren Überstunden nicht verhindert wird. Wenn wir das alles beseitigt haben, können wir darüber nachdenken, in kleinen Schritten mit Lohnverzicht die individuelle Obergrenze herabzusetzen, wobei aber die Option bestehen muss, innerhalb von Familien / bei Paaren den Summenbetrag beliebig aufzuteilen. Wie man den Lohnverzicht den Mitbürgern schmackhaft machen kann, ist eine andere Frage. Wären wir nicht in den EURO eingebunden, könnte man eine Arbeitszeitbegrenzung ohne Lohnverzicht durchführen und durch erhöhte Inflation kompensieren. Nachtrag: Zitat:Dadurch würden Arbeitgeber einen Anreiz erhalten, Stellen eher in "kleineren Portionen" aufzuteilen, ähnlich wie heute mehrere 400 €-Jobs oft eine Vollzeitstelle ersetzen. Aber Letzteres führe ich nur zum Vergleich auf. Denn eine Verbilligung nach unten ist falsch. Frei durch den Arbeitnehmer wählbare und alle halbe Jahre oder Jahre veränderbare Stundenumfänge des Jobs wären sinnvoller. Ist ein bißchen komplizierter für die innerbetriebliche Organisation, aber nicht unmöglich. Aber das löst alles nur das Problem der nichtselbständigen Arbeit. Es wäre Schwachsinn, einem Bauern oder anderen selbständigen Berufen jenseits der arbeitsmedizinisch begründeten Stundensätze vorzuschreiben, wielange sie arbeiten dürfen. Irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Rationierung von Arbeitszeit die gleichen Grundprobleme hat wie das C02-Budget und alle anderen planwirtschaftlichen Ansätze. Zitat:Paechs Vorstellung der 20-Stunden-Woche bei gleichzeitiger Subsistenzwirtschaft finde ich theoretisch sehr gut, ... Das ist eindeutig Geschmacksfrage. Ich würde es als enorme Zeitvergeudung und Nichtlebensqualität empfinden, Subsistenzwirtschaft betreiben zu müssen, also selbst Nahrung anbauen zu müssen und selbst vieles / fast alles /alles erstellen und reparieren zu müssen. Ist wohl eher was für Handwerker mit Nebenerwerbslandwirtschaft und Gartenfans. Letztendlich werden wir nur schützen, was wir lieben. Wir lieben nur, was wir verstehen. Wir werden nur das verstehen, was man uns lehrt. (Original in Englisch von Baba Dioum ( Senegal) vor der Generalversammung der International Union for Conservation of Nature, New Delhi, 1968 ) |
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