Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
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28.11.2014 14:51 Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
Beitrag: #1
Ich lese gerade eine Meldung auf der Seite der ÖDP-Bayern:
24.11.2014 ÖDP will Stellvertreterwahlrecht: Eltern sollen für Kinder wählen dürfen! Die Anregung der Bundesfamilienministerin Schwesig, über ein Wahlrecht für Kinder nachzudenken, findet bei der bayrischen ÖDP Unterstützung. "Das Wahlrecht der Kinder sollte stellvertretend von den Eltern wahrgenommen werden. Nach Jahrzehnten weitgehend verfehlter Familienpolitik brauchen wir eine Kehrtwende, zu der neben der Einführung eines sozialversicherungspflichtigen Erziehungsgehaltes auch ein Stellvertreterwahlrecht gehören muss,“ sagt der familienpolitische Sprecher der ÖDP in Bayern, Ulrich Hoffmann. Erfreut hat die ÖDP in Bayern das Interview der Bundesfamilienministerin in der Rhein-Neckar-Zeitung zur Kenntnis genommen, wird darin doch eine uralte Forderung der ÖDP und zahlreicher Familienorganisationen aufgegriffen. „Es ist eine Form der Altersdiskriminierung, dass bisher etwa 20 Prozent der Staatsbürger von Wahlen ausgeschlossen sind, nur weil sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben“, so Hoffmann. Kein anderes Grundrecht der Verfassung sei an ein bestimmtes Alter gebunden: „Das ist ein eklatanter Widerspruch zum demokratischen Grundsatz: one man – one vote“ (ein Mensch – eine Stimme). Die ÖDP fordert, endlich die Benachteiligung von Familien zu beenden und das Stellvertreterwahlrecht einzuführen. Quelle: http://www.oedp-bayern.de/aktuelles/pres...-sollen-f/ Spätestens bei der Stelle "one man - one vote" habe ich mich gefragt, ob ich bei der Satire-Partei "Die Partei" gelandet bin. Es ist schon krass, wie wenig die Parteifunktionäre sogar der ÖDP die Grundprinzipien der Demokratie verstanden haben. Warum sollten eigentlich nicht wieder Adel und Klerus (und evtl. noch die richtig begüterten Bürger) stellvertretend für die breite Masse (also auch mich) wählen? Wäre doch alles so viel einfacher... Witzigerweise gibt es gerade eine Studie zum Wahlverhalten von Eltern (kleiner Kinder): http://www.zeit.de/2014/48/wahlverhalten...-geschenke |
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28.11.2014 16:02 RE: Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
Beitrag: #2
Abgesehen davon, dass man das Stellvertreterwahlrecht als durchaus nur schwer mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen bezeichnen kann, bezweifele ich auch seine Wirkung.
Das Kalkül, dass Eltern die Stimmen für ihre Kinder nach familienpolitischen Kriterien und damit im Interesse ihrer Kinder vergeben, halte ich für falsch. Wer aus Überzeugung die Linke wählt, wird die Stimmen seiner Kinder wahrscheinlich nicht der Familienpartei oder gar der ÖDP geben, sondern auch mit diesen die Linke wählen. Schließlich gehen die Ansichten, was denn gut für Kinder ist, auseinander. Die einen finden Krippen toll, andere ein Erziehungsgehalt. Auch gibt es möglicherweise Themen, die man für wichtiger hält, die also die Entscheidung überlagern. Die Durchführung von Wahlen wird auch nicht einfacher. Was passiert, wenn die Frau die Grünen wählen will, der Mann aber CDU (ich gehe jetzt mal nur von einem Kind aus)? Einigen die sich dann auf ÖDP? Oder bekommen beide eine halbe Stimme. Wer soll das alles auszählen? Ich hoffe doch nicht, dass in diesem Zusammenhang jemand auf die Idee kommt, elektronische Wahlen einzuführen. |
n. oben |
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29.11.2014 09:45 RE: Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
Beitrag: #3
Mich stören politische Ansätze ohne vorherige exakte Problemanalyse.
Das Grundproblem ist wohl aus Sicht der Unterstützer eines Stellvertreterwahlrechtes für Kinder, dass Deutschland recht familienfeindlich und kinderfeindlich ist. Wobei man erst einmal exakt definieren muss, was man damit konkret meint:Steuerpolitik, Familienpolitik, Schulpolitik, Umgang der Gesellschaft mit Kindern, Egoismen der Generationen etc. Im Ergebnis haben wir zunehmend weniger Kinder, zumindest in Bevölkerungskreisen ohne Migrationshintergrund, und zugleich gibt es massive Probleme wie Kinderarmut. Ein indirektes Problem ist, dass die jetzigen Erwachsenen in ihrem Lebensstil einschließlich Verschuldung auf Kosten der jüngeren Generation leben. Das kann man alles mehr oder minder wissenschaftlich untersucht belegen. Soweit will ich hier nicht widersprechen Stellt sich allerdings die Frage, was das Wahlrecht damit zu tun hat und in zweiter Näherung, ob ein Stellvertreterwahlrecht unter Einbeziehung der Kinder eine Besserung bringen würde. Und da habe ich massivste Zweifel. Dahinter steht der Glaubenssatz, dass Eltern (kleiner Kinder) nichts anderes im Sinn haben als das langfristige Wohl ihrer Kinder. Das ist schon zu hinterfragen. Zugleich stellt sich die Frage, wodurch eine erhöhte Stimmgewichtung, das wäre exakter, bei nicht kindesbezogenen Themen überhaupt eine Berechtigung hat. Drittens stellt sich die Frage, wer dann eine Vertretungsberechtigung der sicherlich derzeit vernachlässigten Interessen der Kinder bzw. jungen Generation hat. Allein die simple intellektuelle Unterscheidung zwischen Interessen von Kindern, Interessen von Eltern (leiblich, nicht leiblich) oder Erziehungsberechtigten/-verpflichteten und Interessen der jungen Generation zeigt, wie vielschichtig das Problem ist. Stellt sich auch die Frage, warum die heutige Situation so ist wie sie ist. Warum sollten heutige Elteren anders sein als frühere? Unausgesprochen steht damit die Überzeugung im Raum, dass die heutigen Eltern von Kindern mehr Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein haben als frühere Generationen, in denen noch Kinder der Normalfall waren und trotzdem die heutige Situation entstanden ist. Wage ich zu bezweifeln. Letztlich würde es auch eine Unterstützung von Wahlberechtigten bedeuten, die derzeit aus welchen Gründen auch immer mehr Kinder haben ohne damit gleich kinderfreundlich sein. Die rein handwerklichen Gegenargumente sehe ich wie Jürgen Koll. Fazit: Wir haben hier m.E. eine ideologisch geprägte und auf einige Wählergruppen schielende Aktivität. Ich halte das Stellvertreterwahlrecht (exakter: erhöhte Stimmzahl oder erhöhtes Stimmrecht) für Eltern oder Erziehungsberechtigte für unsinnig. Letztendlich sogar für gefährlich, weil damit eine Einteilung in mehr oder minder nützliche / wichtige Gesellschaftsmitglieder erfolgen würde. Das ist dann beliebig erweiterbar. Ich bin wirklich kein Freund von Jugendwahlrecht unter 18, aber dann wäre ein abgestuftes oder themenbezogenes Mitabstimmungsrecht von Jugendlichen schon mit 16 der vermutlich weniger problematische Weg. Letztendlich werden wir nur schützen, was wir lieben. Wir lieben nur, was wir verstehen. Wir werden nur das verstehen, was man uns lehrt. (Original in Englisch von Baba Dioum ( Senegal) vor der Generalversammung der International Union for Conservation of Nature, New Delhi, 1968 ) |
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29.11.2014 12:13 RE: Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
Beitrag: #4
Diese Forderung halte ich für verfassungswidrig und unsinnig.
Ich sehe auch schon die Eltern (vor allem bei Scheidungskindern) vor dem Familiengericht, wie sie um die Stimme der Kinder streiten. Mit dieser Forderung machen wir uns lächerlich!!! |
n. oben |
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29.11.2014 21:06 RE: Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
Beitrag: #5
Danke @Michael für diese gut begründete Argumentation gegen das Stellvertreterwahlrecht. Man löst in der Tat nichts damit.
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n. oben |
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01.02.2015 16:36 RE: Stellvertreterwahlrecht in der Demokratie
Beitrag: #6
Ich hatte zu dem Thema aus Anlass zweier Artikel in der ÖP 164 (November 14) einen Leserbrief geschrieben, der in der aktuellen Ausgabe (165) gedruckt wurde.
Siehe Seite 70 https://www.oedp.de/fileadmin/user_uploa...ik-165.pdf |
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