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Natürliche Wirtschaftsordnung - Gast - 25.09.2015 16:22

"Freiwirtschaft (auch Natürliche Wirtschaftsordnung) ist ein Wirtschaftsmodell aus dem 20. Jahrhundert, das auf der Kritik der Geldverfassung und der Kritik der Grundrente (Bodenrente) durch Silvio Gesell beruht. Freiwirtschaft hat sich zum Ziel gesetzt, eine stabile und freiheitliche Marktwirtschaft ohne Monopolrenten durch den Besitz von Geld bzw. Eigentum an Boden oder Handelsrechten zu erreichen, in der zudem Vollbeschäftigung herrscht."

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Freiwirtschaft

Könnte die Freiwirtschaft, oder natürliche Wirtschaftsordnung oder Humanwirtschaft, der (Aus)Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus sein, der den Wachstumszwang eleminiert?


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - rjmaris - 26.09.2015 07:26

Meiner Meinung nach steckt da viel Potenzial drin. In einem Beitrag las ich vor kurzem, dass man zwei Sichtweisen auf das "kapitalistische Problem" haben kann.
Die von Marx, der die Produktionshoheit der Unternehmrer als Grundproblem sah (meine Forumulierung); und die von ... Gesell, der quasi als erster das Geldsystem, bzw. dessen Aufbau und Struktur als Hauptübel ansah.

Oft wird heute behauptet: Den gesellschen Zustand haben wir mit Negativzinsen doch schon? Und es wird trotzdem nicht besser. Dafür gibt es plausible Erklärungen. Eine davon: Es gibt kaum noch eine sog. Zinsstrukturkurve (andernorts auch Zinstreppe genannt). Es gibt so keine Anreize, Geld längerfristig anzulegen. Dadurch bleibt Hortung (und Spekulation) weiterhin attraktiv.

Nachtrag: es gibt im Netz eine lesenswerte, wohlwollende Betrachung von Gesells Ideen von der Hand von Joachim Starbatty:
http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/fragen-der-freiheit/heft129/starbatty.htm
"Eine kritische Würdigung der Geldordnung in Silvio Gesells
utopischem Barataria (Billig‑Land)", 1977



RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - Gast - 26.09.2015 12:33

Danke, rjmaris.

Interessant ist, das die wohl von der christlichen Gesellschaftslehre inspirierte ödp von Gesells Ideen keine Ahnung hat.


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - Christian Stadelmann - 27.09.2015 10:12

Danke für den Hinweis!

https://de.wikipedia.org/wiki/Freiwirtschaft#Freigeld_.28Geldreform.29 schrieb:Der Gesellsche Ansatz basiert auf der Analyse von Pierre-Joseph Proudhon, welche besagt, dass der Geldbesitzer gegenüber dem Besitzer bzw. Anbieter von Waren, Produkten, Dienstleistungen sowie Arbeitskraft einen entscheidenden Vorteil besitzen würde: Durch das Lagern von Waren, Produkten und Dienstleistungen entstünden laufende Kosten, bei Geld aber nicht. Dadurch würde der Geldbesitzer (die Nachfrage) einen systemischen Vorteil gegenüber dem Angebot erhalten, was dazu führen würde, dass Geld teurer verkauft würde als Waren. Diesen zusätzliche Wert definiert er als den „Urzins“ (geschätzte Höhe: 3–5 %).

Investitionen würden seiner Meinung nach nicht getätigt, läge der allgemeine Marktzins unter drei Prozent. Stattdessen würde es als liquides Mittel gehalten und gemäß Gesell zu Spekulationszwecken verwendet. Aus Perspektive der Anleger entstünde der Anlagenotstand, aus Perspektive der Unternehmer entstünde der Eindruck der Kapitalknappheit. Deflation und Spekulationsblasen wären erfahrungsgemäß die Folgen solcher Situationen.
Klingt ja nach einer brauchbaren Beschreibung des aktuellen Problems…

https://de.wikipedia.org/wiki/Freiwirtschaft#Freigeld_.28Geldreform.29 schrieb:Ein derartiges „Freigeld“ erfüllt nicht die Geldfunktion „Wertaufbewahrungsfunktion“.
Das ist aber ein wichtiger Hinweis. In einer Gesellschaft, in der Rücklagen aus diversen Gründen (Sicherheit, Planung für zukünftige Lebensabschnitte wie z.B. neue Ausbildung oder Rente, Ansammlung von Vermögen als Selbstzweck bzw. zur Machtausübung) gebildet werden, kann das aber auch zum Problem werden: Da Geld nicht mehr zur Wertaufbewahrung taugt, wird der Druck erhöht, es zu investieren, wodurch auch (ökologisch und ökonomisch) sinnlose Investitionen gefördert werden. Vgl. Lebensmittel- und Rohstoffspekulationen, wo Menschen in Resourcen investieren, die sie überhaupt nicht brauchen können und die dann folglich den Preis für die tatsächlich Bedürftigen erhöhen. Natürlich ist dieses Problem in unserem Kapitalismus auch jetzt schon präsent.


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - rjmaris - 27.09.2015 14:36

Das mit der "magischen 3%-Grenze ist nicht bloß von Gesell, sondern von Keynes, siehe Wikipedia Liquiditätsfalle:
Zitat:Den beschriebenen, dem flüssigen Geld immanenten „Liquiditätsvorteil“ gegenüber der Ware identifiziert John Maynard Keynes als Ursache für die „Liquiditätsprämie des Geldes“. Dieser Vorteil lässt sich nach Keynes bei etwa 3 Prozent beziffern.

Ich füge allerdings an, dass Keynes Gesell wohlwollend zitiert hatte. Was u.a. dazu führt, dass es hin und wieder auch heute von Seiten seriöser Ökonomen dazu kommt, dass Gesell gelesen wird, z.B. neuerdings hier:
Zitat:I hadn't read Silvio Gesell. I only knew about him from Chapter 23 of Keynes' General Theory, from Miles Kimball's post on Gesell's plan for negative interest rates on money, and from the Wikipedia entry.

Was ich in diesem Zusammenhang ungeingeschränkt empfehlen kann, ist die Lesung eines Artikels des nun vor 25 Jahren verstorbenen Rechtsphilosophen Dieter Suhr, der irgendwann anfing, über das Geld nachzudenken, und zwar aus rechtsphilosophischer Sicht. Das interessante ist gerade, dass er - in Gegensatz zu Ökonomen - Gerechtigkeitsaspekte des Geldes beleuchtet.

Anlässlich des Todestages ist der Artikel in Humane Wirtschaft und in der Zeitschrift für Sozialökonomie veröffentlicht. Bei letzterer Zeitschrift ist der Artikel inzwischen online verfügbar.

Ich zitiere aus einem Abschnitt, der es in sich hat, und Lust auf mehr weckt:
Zitat:Das Geld unterscheidet sich von den übrigen Tauschgegenständen vor allem dadurch, dass es ein „generalisiertes Tauschmedium“ ist. Das wird am klarsten im Vergleich mit einem Beispiel:
Das Geld unterscheidet sich von den Waren und Dienstleistungen, die im Marktspiel gehandelt werden, ungefähr so, wie sich in einem Kartenspiel, in dem der Joker für jede andere Karte eingesetzt werden kann, eben dieser Joker von den anderen bestimmten Karten unterscheidet. Das Geld ist der Joker unter den Tauschobjekten, und so wie der Joker im Kartenspiel Spielvorteile verschafft, so verschafft auch das Geld im Wirtschaftsspiel Vorteile: Während ich auf dem Markt für die Abnahme meiner Waren und Dienstleistungen ganz bestimmte Nachfrager finden muss, die genau das brauchen, was ich habe, hat der Anbieter von Geld ein leichtes Spiel; denn die Liquidität, die er bietet, kann jedermann brauchen, und sie bietet außerdem die Möglichkeit, dass der Geldbesitzer von seinem Geld eine Weile leben kann, ohne etwas leisten oder sonst verkaufen zu müssen. Wer also den Geld-Joker in der Hand hat, hat Spielvorteile im Wirtschaftsspiel und kann diese Joker-Vorteile in Verhandlungssituationen ausspielen. Ein Gemeinwesen also, das solches Geld, wie wir es haben, für die Vermittlung von Tauschgeschäften zur Verfügung stellt, ergreift Partei für die Geldbesitzer, denen es einen durchschnittlich besseren Tauschgegenstand in die Hände gibt als den anderen. Insofern kann und muss man von einer „kapitalistischen Parteilichkeit“ unseres derzeitigen Geldes sprechen. Ein solches Geld ist mit den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit schlechthin unvereinbar.
(Hervorhebung von mir)


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - Gast - 27.09.2015 22:00

(27.09.2015 10:12)Christian Stadelmann schrieb:  Da Geld nicht mehr zur Wertaufbewahrung taugt, wird der Druck erhöht, es zu investieren, wodurch auch (ökologisch und ökonomisch) sinnlose Investitionen gefördert werden. Vgl. Lebensmittel- und Rohstoffspekulationen, wo Menschen in Resourcen investieren, die sie überhaupt nicht brauchen können und die dann folglich den Preis für die tatsächlich Bedürftigen erhöhen. Natürlich ist dieses Problem in unserem Kapitalismus auch jetzt schon präsent.

In einer natürlichen Wirtschaftsordnung gibt es, so die Theorie, kein die Realwirtschaft übersteigendes Geldvermögen, so dass weniger Kapital zur Verfügung steht, das zu Spekulationszwecken eingesetzt werden kann. Sinnlose bzw. sinnhafte Investitionen sind natürlich relative Bewertungen. Dennoch ist auch das Ansparen möglich, ohne dass das Geld schwindet. Christian Gelleri, der Begründer der Regionalwährung Chiemgauer beantwort die Frage, wie Ansparungen bei Schwundgeld funktioniert: (Planet-Wissen, siehe ab Minute 15:00)

https://www.youtube.com/watch?v=M4LI3_tfteA


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - rjmaris - 28.09.2015 19:06

Herzlichen Dank an Gast für den Link zum Video. Das habe ich mir sehr gerne angesehen (sonst bin ich eher der Lesetyp). Gelleri macht nicht mehr als ca. 20 Minuten der 60-minütigen Sendung aus, aber das ist immerhin schon sehr gut. Es ist ja so, dass beim Rest der Sendung Dirk Müller (Mr. Dax) der Partner der Moderatoren ist. Und ich fand den richtig gut. Der hat eine gute Botschaft.

Gelleri zum Chiemgauer:
10% der Geschäfte (600) macht mit; 25% mehr Umsatz - aber nur 5% der Leute, die mit Chiemgauer zahlen (Minute 5-7). Irgendwie passt das nicht ganz zusammen, aber klar ist in jedem Fall: es hat eine positive Wirkung.

Man merkt insbesondere der Moderatorin an, dass sie es kaum glauben kann, weil das Geld ja entwertet wird. Es ist genau dies (Schwundgeld), weshalb keine politische Partei, wenn sie keinen Selbstmord begehen will, auch die ödp nicht, sich darauf einlässt. Entweder lassen Leute sich darauf ein, weil es schwer kriselt (wie in Wörgl, wird auch besprochen), oder weil man das Geldsystem verstanden hat. Die ödp könnte höchstens hoffen auf etwas von beidem - wenn sie sich denn darauf einlässt.

Min. 23: an Mr. Dax zum Geldsystem überhaupt - Blicken Politiker wohl durch? Natürlich nicht. Und das ist bereits ein großes Problem!

Min. 31: Kredite unabhängig von Sparguthaben. Moderator: "mein gesunder Menschenverstand..."
Dirk Müller antwortet. Der längere Teil danach ist etwas langatmig, und dann kommt...

Ab Min. 48: islamisches Banking. Müller: Kein verleihen, sondern ausgeben, bzw. richtig mit Risiko beteiligen (und später mit Gewinn an den Kunden verkaufen, z.B. ein Haus). Die "Gründerväter" der Religionen wussten sehr wohl, dass das Verleihen zu großen gesellschaftlichen Probleme führen kann, und auch das Horten hat diese "Qualität".

Müller fasst zusammen: wir müssen verstehen, dass das Geld der einen die Schulden der anderen sind. Und: "wenn ich es ausgebe, kann ein anderer damit verdienen um seine Schulden zu tilgen".
Er schildert drastisch die steigende Geschwindigkeit der Ungleichheitsentwicklung. Der ist wirklich vom Börsenguru zum authentischen Mahner gewandelt. Ein Paulus? Er kann das Schwundgeld das Positive abgewinnen, das es den Umlauf des Geldes sichert. Inflation tut das Gleiche - wie er betont.

Müller zum Schluss: "Das Horten ist des Teufels".


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - Gast - 28.09.2015 20:46

Danke, rjmaris.

Ja, Müller ist gut und erzählt den Leuten keinen Stuss, weil er die Prämissen des kapitalistischen Systems verstanden hat. Er setzt sich auch für eine Monnetative ein. Von solchen Leuten braucht das Land mehr.

Hier Müller in einem anspruchsvollen Interview beim ÖRF:

https://www.youtube.com/watch?v=WTW49tr-mNE


Was den "politischen Selbstmord" angeht, so MUSS Politik den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit sagen, notfalls muss man sich ans Kreuz schlagen lassen. Aber dafür fehlt der ödp die geistige Tiefe.


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - Ishar - 07.11.2015 17:31

Ich bin Mitglied im Deutschen Freiwirtschaftsbund nach Hermann Benjes (Buch "Wer hat Angst vor Silvio Gesell?") und Michael Musil!
Der Deutsche Freiwirtschaftsbund vertritt die unverwässerte Freiwirtschaftslehre nach Silvio Gesell und wendet sich gegen jegliche Verwässerungen wie eine blosse sogenannte "Vollgeldreform"!

Deutscher Freiwirtschaftsbund, siehe auch "Rundbriefe" und "Textebeiträge" und BLOG

http://www.freiwirte.de Zur offenen Diskussion in der Diskussionsliste wird eingeladen!

Prof. Bernd Senf aus Berlin, VWL und psychosoziale Hintergründe

http://www.berndsenf.de Prof. Bernd Senf ist Volkswirt und arbeitet als Professor für Volkswirtschaft mit der globalisierungskritischen Organisation ATTAC zusammen.
Ferner weise ich auf den Volkswirtschaftsprofessor Wolfgang Berger hin.
Herr Prof. Wolfgang Berger hat als Professor für Volkswirtschaft den intellektuellen Sprung  hin zur Freiwirtschaft geschafft!

Gustav Ruhland, National-Ökonom, Volkswirt und Historiker, eine Geschichte des Handels-Kapitals und Finanz-Kapitals und Freihandels und der Banken

http://www.vergessene-buecher.de

Ein vergessener Klassiker der Volkswirtschaftslehre bzw. National-Ökonomie!

Täglicher Peak Oil Blog nach Michael C. Ruppert (R.I.P.), siehe auch dessen Bücher und Heinbergs Bücher zu Peak Oil und Ressourcenknappheit bzw. Ressourcenverknappung, wie etwa Verknappung von Erdöl und Erdgas und Uran und Kupfer und Phosphor und Kalium und Lithium und Helium und Asphalt!

Peak Everything, nach Heinberg!

http://www.fromthewilderness.com

Siehe auch die Video Dokumentation "Collapse" mit Michael C. Ruppert!


RE: Natürliche Wirtschaftsordnung - Gast - 07.11.2015 22:52

Danke für die Verweise. - Wenigstens Einer in der ödp, der sich für Gesell interessiert!