Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
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23.02.2014 16:14 Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #1
In einem Artikel aus der Druckausgabe der Zeit (dürfte bald online sein), hatte meine Frau einige Passagen mit einem Merker hervorgeboben. Ich las, und spürte eine Wut aufkommen. Ich zitiere:
Zitat:Sie [eine Vietnameserin] ist hier, weil das Bundeswirtschaftsministerium den Fachkräftemangel in der Altenpflege bekämpfen will. [...] Das Bundeswirtschaftsministerium will ausgerechnet haben, dass es nicht reicht, junge Spanier, Polen oder andere Europäer anzuwerben. Deswegen sollen jetzt 'Fachkräfte aus Drittstaaten' nach Deutschland geholt werden. Meine Frage: Warum funktioniert bei der Entlohnung der Pflegekräfte das simple Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht? Diese offenbar verzweifelte Suche nach Pflegekräfte im Ausland ist grotesk! Diese Geschichte macht auch deshalb wütend, weil die neoliberale Ideologie ja immer das Mantra des wirtschaftlichen Gleichgewichtes propapiert, was also in einer globalisierten Wirtschaft tendenziell sinkende Löhne bedeuten soll. Konsequent wäre es, bei Mangel an Fachkräfte die Löhne eben anzuheben. Aber nein, lieber gibt man Geld für Reisen in der Ferne zwecks Aquisitionen aus, und investiert in einer Ausbildungszeit, die man übrigens auch deutsche Quereinsteiger hätte spendieren können. Dazu kommen noch Sprachkursen. Offensichtlich lohnt sich das alles. Bekommen die ausländischen Pflegekräfte auch weniger Gehalt als die "einheimischen" Pflegekräfte? Eine deutsche Pflegefachkraft soll lt. http://www.lohnspiegel.de/main/zusatzinf...legeberufe im Schnitt 2.400 EUR verdienen. In der Altenpflege sind es aber 10% weniger. Warum eigentlich? Die Arbeit dürfte schwerer und unangenehmer sein. Fazit: das geht so nicht. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Ich würde mir wünschen, wenn die ÖDP dies außerparlamentarisch mit Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit offensiv aufgreift. P.S.: In einem anderen Zeit-Artikel, der am 23.1. online geschaltet wurde, ist das Thema ähnlich gelagert: "Weil Deutschland Pflegefachkräfte fehlen, rekrutieren Arbeitgeber jetzt auch in China." Es betrifft ein Interview mit einer Pflege-Personalchefin. |
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23.02.2014 19:54 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #2
Zitat:Warum funktioniert bei der Entlohnung der Pflegekräfte das simple Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht? Weil in dieser Republik Geiz geil ist, die traditionell eher von Frauen wahrgenomenen Pflegeberufe bei uns eine geringe soziale Wertschätzung haben und traditionell unterbezahlt sind sowie Dienstleistungen in Deutschland ohnhin mit Ausnahme einiger weniger intellektueller Dienstleistungen niedrig bezahlt sind. Hinzu kommt m.E. , dass Pflege eine Leistung ist, die man nicht direkt unmittelbar für sich bezahlt und deren Auswirkungen bei Qualitätsmängeln bei anderen auftreten. Das wird von einem anonymen System bezahlt und abgerechnet. Rechnet, man jetzt noch das Zerbröseln familiärer Strukturen dazu, ergibt sich ein Gesamtbild. Abgesehen davon sind Pflegeberufe ein Knochenjob und m.E. für viele nichts als Lebensberuf. Letztendlich werden wir nur schützen, was wir lieben. Wir lieben nur, was wir verstehen. Wir werden nur das verstehen, was man uns lehrt. (Original in Englisch von Baba Dioum ( Senegal) vor der Generalversammung der International Union for Conservation of Nature, New Delhi, 1968 ) |
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17.03.2014 09:29 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #3
Ich hätte gern den Artikel von der "Zeit" gehabt. Kannst Du (mit Verlaub) mir es beschaffen? Danke, Freund!
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17.03.2014 15:08 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #4
Hm, normalerweise hätte der Artikel schon längst online sein müssen. Passiert offenbar nicht mit allen Artikeln aus der Printausgabe.
Ich habe inzwischen einen Scan per E-mail gesendet. Kann aufgrund von rechtlichen Bestimmungen nicht hier zum Download angeboten werden. |
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17.03.2014 20:18 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #5
Hier ist ein Artikel aus der Welt, der ebenfalls den Mangel an Pflegekräften beleuchtet.
„Die Versuche, unter den knapp drei Millionen erwerbsfähigen Arbeitslosen in Deutschland mehr Personal auszubilden, blieben ebenfalls erfolglos. Laut BA traten im laufenden Jahr knapp 3000 Arbeitslose eine Qualifizierung zur Pflegekraft an. Nur jeder 3000. war also geeignet und bereit, diesen Beruf zu ergreifen.“ Wenn man das liest, könnte das denjenigen Auftrieb geben, die glauben, dass es Arbeitslosen zu gut geht und sie schlicht nicht arbeiten wollen, weil auch so genug Geld reinkommt (inkl. Schwarzarbeit). Ich denke, dass dies sicher auf einige zutrifft. Überhaupt denke ich, dass einige unserer Probleme auch Folgen unseres vermeintlichen Wohlstands sind. Andererseits: „Jeder zweiteBeschäftigte in der Branche ist Hilfspfleger, sie verdienen zwischen 1200 und 1800 Euro. Becker sieht in der Anwerbung vor allem den Versuch der Arbeitgeber, Lohnerhöhungen auszuweichen.“ (Aussage einer Pflegekraft in dem verlinkten Artikel) Dem kann ich auch viel abgewinnen. Die Arbeitsbelastung, -zeit und das Gehalt passen für mich nicht zusammen. Auch in anderen Branchen (z.B. Fleischindustrie) habe ich eher den Eindruck, dass es keinen Fachkräftemangel in Deutschland gibt, sondern eher keine Bereitschaft, anständige Löhne zu zahlen. Es werden dann ausländische Arbeitskräfte quasi zur Ausbeutung nach Deutschland geholt. Böse formuliert: Während ausländische Arbeitnehmer hier harte Arbeit für einen Minilohn leisten, wird der abgehängte Teil unserer Gesellschaft mit Brot (Hartz IV) und Spielen (RTL 2) ruhig gestellt. Die Mittelschicht befindet sich dazwischen, einerseits durch Arbeitsverdichtung und Angst vor dem sozialen Abstieg gebeutelt, andererseits aber auch von den Verhältnissen profitierend (günstige Preise für z.B. Lebensmittel und Elektroartikel). Ich denke ebenfalls, dass wir in unserer Gesellschaft ein Umdenken brauchen, was den Wert von Arbeit und Produkten anbetrifft (weg vom Geiz ist geil). Nahrung, Pflege usw. sind Produkte bzw. Dienstleistungen, für die wir wenig ausgeben wollen, die aber viel wert sind. Wenn wir dies adäquat bezahlen, wird dies ein weniger bei anderen Dingen zur Folge haben (Urlaub, Fernsehgeräte usw.). |
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17.03.2014 21:22 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #6
Aus der "Welt":
Zitat:Als er das letzte Mal bei der Heimleitung ein Gehaltsplus ansprach, bekam er zu hören: "Sie machen den Beruf doch wohl nicht wegen des Geldes? Pfleger ist man aus Überzeugung." Dazu fällt mir folgende Geschichte ein: Eine Freundin arbeitet wohl bei der Caritas. Da stand vor einigen Monaten offenbar wohl eine Gehaltserhöhung an. In einer Mitabeiterversammlung bestand es der Personalchef etwa zu sagen, dass ein freiwilliger Verzicht auf Gehaltserhöhung es möglich machen würde, die nicht dafür eingesetze Gelder für dies und jenes einzusetzen. Anders gesagt: er appellierte an das Ethos der Mitarbeiter... Das ist doch unfassbar! |
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18.03.2014 03:16 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #7
@Rob Maris: Danke schön für Deine Unterstützung.Â
Ich wohne in Hanoi, falls Ihr etwas von mir braucht, ich stelle mich gern zur Verfügung. |
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21.03.2014 23:03 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #8
Ein relativ großer Zeit-Artikel, der sehr deutlich macht, wie dramatisch die Lage in der (Alten)pflege ist, ist nun auch online erschienen:
http://www.zeit.de/2014/12/kopfgeld-pfle...nal-klinik - es mangelt an guter Bildung; - ein Drittel der Ausbildungsplätze in zehn Jahren verschwunden; - Pflegekräfte halten es oft nur 4-5 Jahre aus, wandern u.U. ins Ausland; - gedeckelte Etats verhindern notwendige Neueinstellungen; - Altenpflegerinnen doppelt so häufig krank vgl. mit Angestellten-Durchschnitt; - ein Drittel Burn-Out gefährdet. Petition: https://www.openpetition.de/petition/onl...ahlung-ein Bei der Gelegenheit: hier ein lesenswertes Interview "Pflege ist ein Knochenjob", zum Thema Pflegeversicherung. |
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22.03.2014 14:16 RE: Pflegenotstand - Pflegekräfte aus Vietnam und Co.?
Beitrag: #9
Im verlinkten Zeit-Artikel steht meiner Meinung nach der wichtigste Satz:
Zitat:Das Idealbild der deutschen Krankenschwester leitet sich von der christlichen Ordensschwester her, und die rackert aus Nächstenliebe und für Gotteslohn.Der Bezug auf die Religion gehört nicht unbedingt dazu, aber das Verhalten stimmt. In der Pflege ist das auch als „Helfersyndrom“ bekannt. Und noch etwas: Viele Pflegekräfte können nicht bis zum Ruhestand in der Branche arbeiten, weil das kaum jemand körperlich aushält. |
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